Insgesamt anderthalb Jahre habe ich an meinem Solar-Fahrrad geschraubt, bis ich mich damit auf große Tour getraut habe: Nachdem ich über 1600km auf Mallorca, wohin ich aufgrund des gesundheitlich für mich besseren Klimas ausgewandert bin, absolviert hatte, wurde mir klar, dass ich noch ewig weiter trainieren und verbessern könnte, aber irgendwann ist der Moment gekommen, an dem man einfach „loslegen“ muss. Gesagt, getan! Nachdem ich zwei Mehrtages-Testtouren über die Insel absolviert hatte – einmal die „kleine Inselrunde“ mit 250km in 2 Tagen und einmal die größere Runde mit 400km in 3 Tagen, war eindeutig bewiesen, dass das Konzept funktioniert und auf größere Herausforderungen wartete!
Als „praktisches“ Ziel stellte sich für mich der Parakletter-Weltcup in Innsbruck 2024 dar, der dort Ende Juni stattfand. Da Handbike fahren (trotz elektrischer Hilfe) die genau gleiche Muskelgruppe wie klettern belasten würde, war klar, dass ich mit ausreichend Puffer in Innsbruck ankommen müsste. In Absprache mit unserem Nationalteamtrainer und auch dem Nationalteamarzt haben wir uns auf ca. eine Woche Pause zwischen der Ankunft und dem Wettkampf geeinigt.
Und so ging es schließlich am 6.6.2024 auf Mallorca los. Um exakt 0:30 Uhr mitten in der Nacht bin ich mit meinem Solarbike aufgebrochen. Mitten in der Nacht? Dort scheint ja gar keine Sonne…korrekt! Der Hintergrund ist einfach: Die Fähre fuhr morgens um 8 Uhr ab und die Strecke von ca. 70km bis zur Fähre war aus meiner Sicht überschaubar. Sie führte über einige tagsüber sehr stark befahrene Straßen quer über die Insel. Alternativ eine Nacht im Hotel so nah an meinem Zuhause – nein Danke. Da zog ich lieber den „durch-die-Nacht-Joker“ und freute mich über komplett freie Straßen und eine entspannte Fahrt. Mein Fahrrad ist natürlich mit Scheinwerfern ausgestattet (drei Stück) und mehrfach bereits vorher getestet.
Ganz so einfach sollte es jedoch nicht werden, 8h vor der geplanten Abfahrt beim Reifen aufpumpen machte es plötzlich pffffffffffftt und das Vorderrad sagte somit eindeutig „ohne mich“! Die Analyse des demontierten Vorderrades zeigte, dass das Felgenband sich über die Zeit verschoben hatte und eigentlich auch etwas zu schmal war, also schnell in den nächst gelegenen Fahrradladen gefahren, passende Ersatzteile und noch mehr Ersatzschläuche gekauft und mich an die Reparatur gemacht. Der letzte Licht-Test in der einbrechenden Dunkelheit brachte plötzlich Rauchzeichen an einem der Scheinwerfer zu Tage und unterm Strich hat einer von meinen drei Scheinwerfern den Dienst quittiert – abgeraucht. Warum auch immer. Mit der Stimmung im Keller habe ich mich an die Reparatur des betroffenen Kabelbaumes gemacht, konnte den Fehler aber nicht genau lokalisieren. Egal, zwei Scheinwerfer sind mehr als gar keines und ändern konnte ich nun sowieso nichts mehr. Wenigstens ist es jetzt passiert und nicht auf dem Weg zur Fähre. Die Abendstunden flogen nur so dahin und die geplanten Stunden Schlaf vor der Abfahrt schmolzen wie ein Eiswürfel in der Sonne hinweg. Am Ende habe ich exakt 45 min im Bett gelegen, konnte vor Aufregung nicht schlafen und beschloss der Zeitverschwendung in der Horizontalen ein Ende zu bereiten und einfach los zu legen… ohne Schlaf und mit einem kompletten Tag bereits im Rücken bin ich dann durch die Nacht los gezogen.
Die Fahrt verlief wie am Schnürchen, nach cirka 3,5 Stunden entspannter Fahrt war ich bereits am anderen Ende der Insel, gut 4h vor Abfahrt der Fähre und somit viel zu früh war ich am noch verschlossenen Fährterminal. Viel Zeit nachzudenken über das, was nun kommen würde. Wird die Technik halten? Warum muss genau 8h vor der Abfahrt noch genau das kaputt gehen, was bisher noch nie ein Problem war? Habe ich mir zu viel vorgenommen? Wird das Wetter halten? Werde ich meinen Zeitplan einhalten können? Die Alpen versprachen wechselhafte Wetteraussichten neben den sowieso schon herausfordernden Straßen, aber der Plan stand fest, insofern gab es nur ein Motto: Augen zu und durch. Mit der aufgehenden Sonne öffnete der Hafen und ich konnte schlussendlich mein Fahrrad auf der Fähre unter Deck parken und mich erst einmal in meine Kabine ins Bett legen. Endlich schlafen…
Die Überfahrt von Alcudia (Mallorca) nach Toulon (Südfrankreiche, in der Nähe von Marseille) verlief ruhig und ich hatte die Gelegenheit das Gepäck neu zu sortieren und in mehreren Etappen so viel Schlaf wie möglich zu erhalten. In Toulon selbst ging es dann herunter von der Fähre und weiter ins nah gelegene Hotel. Den Akku habe ich ausgebaut, mit auf das Hotelzimmer genommen und über Nacht an der Steckdose geladen, um die maximal mögliche Reichweite für den nächsten Tag zur Verfügung zu haben. Meine Datenlage und Erfahrung mit mehrtägigen Touren waren bisher begrenzt, von daher wollte ich absolut auf Nummer sicher gehen und nicht hier schon den „wie-weit-kommt-man-nur-mit-Solar“-Test machen.
Der 2. Tag führte mich dann weiter nach Norden quer durch die Provence. Weinfelder, hügelige Landschaften und drückende Hitze begleiteten mich auf dem Weg nach Digne-les-Bains, insgesamt 150 km mit in Summe über 2300 Höhenmetern, die es zu bezwingen galt. Der durcheinander gebrachte Tag-Nacht-Rhytmus machte sich noch bemerkbar, aber die Technik und meine körperliche Form hat darüber gut hinweg geholfen. Trotzdem offenbarte sich relativ deutlich eine neue Herausforderung: Der französische Asphalt war teilweise so glatt, dass mein Vorderrad an staken Steigungen einfach durchdrehte. Bloß nicht anhalten…oder bei leeren Straßen einfach zick-zack fahren und somit die Steigung zu mindern. Ohje, die starken Steigungen in den Alpen sollten doch erst noch kommen…wie soll ich das nur schaffen?
Ich überlegte mögliche Lösungen, um besser damit umgehen zu können: Luft aus den Reifen lassen für mehr Auflagefläche? Oder gar provisorisch Gepäck ganz vorne auf dem Dach platzieren?
Die Nacht von Tag 2 auf Tag 3 machte mich sehr nachdenklich und zeigte ganz deutlich, dass die Reise deutlich herausfordernder werden würde, als ich zunächst dachte. Dazu noch kamen die Herausforderungen an Stellen, wo ich sie überhaupt nicht vermutet hatte. Egal, es ging weiter, Tag 3 führte mich weiter nach Norden in die Nähe von Briancon zu einer Kollegin vom französischen Parakletter-Nationalteam (Solenne Piret), die mir ihr Sofa für die Nacht zur Verfügung stellte. Weitere 136 km mit wieder einmal mehr als 2300 Höhenmetern, die Ausläufer der Alpen standen nun an. Leider begann mit den zunehmend anspruchsvolleren Bergen bis zu 1400m über dem Meer auch das schlechte Wetter: Zum ersten Mal auf der Tour wurde ich von einer Wand aus Regen überrascht, die mich komplett durchnässte…natürlich schützt das Dach vor Regen, allerdings nicht bei höheren Geschwindigkeiten und durch die nicht vorhandenen Schutzbleche war das Dach auch obsolet, da die Dusche je nach Wasserstand auf der Fahrbahn sowieso von unten und nicht von oben kam…
In Sachen Reifen und Haftung auf der Straße wurde es einige Male nochmals knapp, ich wurde jedoch nicht gezwungen, in die Trickkiste (Stichwort Reifendruck oder Gewichtsverlagerung) zu greifen. Nach dem letzten Regenguss am Nachmittag kam ich schließlich bei Solenne in der Nähe von Briancon an und am Abend öffnete der Himmel alle Schleusen und es regnete in rauen Mengen. Die Wettervorhersage sagte in etwa gleiches Wetter für den nächsten Tag vorher. Was tun? Augen zu und durch? Bei den vorhergesagten Regenmengen wäre ich binnen 30 Minuten komplett durchnässt und eine weitere Stunde später mit hoher Sicherheit komplett durchfroren gewesen. Die Entscheidung war schwer, aber letztendlich die einzige sinnvolle Wahl: Einen Tag länger bei Solenne zu bleiben, das schlechte Wetter auszusitzen und dann weiter in Richtung Innsbruck zu starten.
Geplant, getan: Der Pausentag gab die Gelegenheit noch ein paar Kleinigkeiten zu reparieren (Schaltungszug gerissen, hie und da lockere Schrauben) und dann ging es morgens sehr früh los in Richtung Briancon. Hier war ich bereits oft mit dem Auto gewesen, denn in Briancon fanden bereits zahlreiche Parakletter-Weltcups statt, unter anderem war mein allererster Weltcup auch hier in Briancon. Ein unbeschreibliches Gefühl mit dem selbst gebauten Solarbike nun hier zu sein…doch ich hatte nicht viel Zeit dies zu genießen, der Pass hinüber nach Italien stand nun an und mein Plan war, die kurvige und stark befahrene Landstraße möglichst früh noch vor den morgendlichen Verkehrsmassen hinter mir zu lassen. 600 Höhenmeter mit bis zu 15% Steigung gab es hier zu überwinden, dazu zahlreiche Serpentinen, wo die LKWs durchaus beide Fahrbahnen beanspruchen. Es war noch vor 7 Uhr am Morgen und ich hatte Glück, die Verkehrslage war noch äußerst dünn, jedoch machte mein Motor nun plötzlich Probleme: Offensichtlich reduzierte er stetig die Leistung und somit war meine Geschwindigkeit weit unter den erwarteten Werten. Gerade am Berg machten sich die Leistungseinbußen schmerzhaft bemerkbar. Ich hielt mehrfach an, versuchte das Problem zu lokalisieren und zu verstehen, aber fand keine Lösung. Überhitzung am Motor konnte es kaum sein, der war gerade einmal handwarm. Der Akku war trotz Abwesenheit von Sonne (Nebel und Wolkendecke) noch gut gefüllt und konnte nicht die Ursache für das Problem sein.
Kurz vor dem Gipfel, als ich wieder einen Zwangsstopp wegen stark reduzierter Motorleistung einlegen musste, bin ich auf die Ursache für das Problem gestoßen: Das Motorsteuergerät! Ich hatte es am Ruhetag zuvor wasserdicht in Plastikfolie eingepackt und damit die Belüftung und somit auch Kühlung auf ein Minimum reduziert. Somit war der Metallkasten so heiß, dass ich ihn kaum anfassen konnte…natürlich musste das Gerät so in rasender Geschwindigkeit überhitzen und die Leistung reduzieren, um sich selbst zu „retten“. Also habe ich flugs die Plastikhülle wieder entfernt und das Steuergerät an seinen alten Platz im Rahmen wieder fest eingeklemmt, wo die Hitze durch die Grundplatte zuverlässig und schnell abgeführt wurde. Ab diesem Moment war das Problem gelöst und das Solarbike war wieder zuverlässig und in Sachen Leistung auf dem gleichen Niveau wie zuvor. Schnell ging es der Polizei zuwinkend durch den stark bewachte Grenzübergang (Flüchtlingsroute nach Nordeuropa, sie haben zurück gewunken) nach Italien und aus über 1800m über dem Meer ging es nun wieder bergab in Richtung Turin. Nach einer rasanten Abfahrt von ca. 1600 Höhenmetern ging es nun flach durch das breite Tal des Flusses „Dora Riparia“ durch das Piemont. Auch wenn das Höhenprofil von nun an sehr flach bleiben würde, hatte Italien ein neues Abenteuer für mich bereit gehalten: Schlechte Straßen. Richtig schlechte Straßen. Manchmal dachte ich, ein Mountainbike mit Federung wäre eher angebracht als meine winzigen und knallhart aufgepumpten Rennradreifen. Mein Routenplaner (die App „Komoot“) versuchte mich stets auf Nebenstraßen zu halten, leider waren genau die meist extrem schlechte Buckelpisten. Der Asphalt auf den Hauptverkehrsstraßen ist meist etwas besser, dafür ist dort natürlich deutlich mehr Verkehr. Und der Verkehr in Italien ist vor allem eines: Verrückt. Die Italiener haben im Durchschnitt deutlich weniger Respekt vor Fahrradfahrern und provozieren absichtlich lebensgefährliche Situationen: Im Kreisverkehr die Vorfahrt nehmen und Radfahrer zum Bremsmanöver zwingen? Natürlich! Sicherheitsabstand beim überholen? Wozu? Ich wurde vor der Reise auch vor der französisch temperamentvollen Fahrweise gewarnt, was ich dort erlebt habe, war jedoch in keiner Weise mit Italien vergleichbar. Wie dem auch sei, es gab nun auch keine andere Wahl mehr und ich war froh, gleich 2 Rückspiegel an meinem Solarbike montiert zu haben.
Nächstes Ziel: Turin! Hier ist das Büro der IFSC (International Federation of Sport Climbing), also der Sitz des Weltverbandes, zu dessen Para-Weltcup ich gerade unterwegs war. Seit 2019 bin ich auch im Weltverband als Athletensprecher und Experte engagiert, der hinter den Kulissen mitwirkt, die Sportart weiter zu entwickeln, von daher war es selbstverständlich, die Chance zu nutzen und persönlich im Büro vorbei zu kommen. Turin lag mehr oder weniger zufällig auf der Strecke, und genau wie Briancon war ich auch hier schon mehrfach vorher mit anderen Verkehrsmitteln gewesen. Hier das erste Mal mit dem Solarbike anzukommen, war wieder einmal ein unbeschreibliches Gefühl. Neben einigen Gesprächen im Büro des Weltverbandes, einem Foto mit dem Präsident des Kletter-Weltverbandes Marco Scolaris, der auch unbedingt selbst ein paar Meter zur Probe fahren wollte, ging es dann weiter in Richtung Mailand.
Der Plan war von hier am Comer See entlang mich über den Maloja-Pass hinauf in die Schweiz zu hangeln, von wo aus es dann „entspannt“ dem Fluss Inn folgend bis nach Innsbruck gehen sollte. Nach dem Besuch in Turin und die abenteuerliche Durchquerung der Stadt (Kopfsteinpflaster, Fahrradwege wie ein Offroad-Trail), ging es durch die flache Ebene von Italien in Richtung Mailand. Das flache Profil erlaubte mir trotz der Pause in Turin insgesamt 190 km zurück zu legen, bisher absoluter Rekord für mein Solarbike (Rekord bisher 160 km an einem Tag). Damit war klar, dass die 200 km-Marke nicht nur ein Traum, sondern bei entsprechender Strecke, Wetter und ausreichend Zeit absolut möglich sind. Die Nacht verbrachte ich in Santhia zwischen Turin und Mailand, an Tag 5 der Tour sollte es dann soweit wie möglich am Comer See vorbei und darüber hinaus gehen. Das war der Plan, die Realität hatte leider etwas anderes vor. Zuerst brach auf den schlechten italienischen Straßen meine Handyhalterung – und ab dem Moment hatte ich keinen Bildschirm mit Navigation mehr vor den Augen. Die reine Navigation per Audio-Ansage war oft fehlerhaft oder schlichtweg viel zu leise im dichten Verkehr, eine Lösung musste her. Ich zwang mich weiter vorwärts Kilometer zu schrubben, hangelte mich nördlich an Mailand vorbei und versuchte mich bis zur zündenden Lösungsidee für die gebrochene Handyhalterung mit Audio-Navigation und regelmäßig anhalten und Strecke merken weiter in Richtung Comer See voran. Auf dem Weg machte es am Vorderrad plötzlich „knack“ und eine Speiche war gebrochen. Ohje…schnell meinen Vorbesitzer und Fahrrad-Berater Markus Pösendorfer angerufen, der mir versicherte, dass man unter Beobachtung der anderen Speichen (keine zu locker oder zu fest) weiter fahren kann, jedoch ist die Situation ganz genau im Auge zu behalten. In der Zwischenzeit hatte ich im Bezug auf meine Handyhalterung die zündende Idee: Ich baute eine Spax-Schraube am Solar-Laderegler ab (hält auch mit 3 anstatt 4 Schrauben…), und setzte sie in das ausgebrochene Schraubenloch ein. Dadurch, dass die alte Schrauber der Handyhalterung deutlich kleiner war, passte die größere Schraube trotz des Ausbruchs ideal hinein und stützte die Handyhalterung fester als je zuvor. Mit der gebrochenen Speiche war ich leider weniger erfolgreich: In der Stadt Como hatte ich drei verschiedene Fahrradläden konsultiert, keiner konnte oder wollte mir helfen. Ja, es hätte mindestens ein Fahrradgeschäft gegeben, das die gebrochene Speiche hätte reparieren können, jedoch war die Bereitschaft dazu, ad hoc Hilfe zu leisten, schlichtweg nicht vorhanden. Ich solle in ein paar Tagen nochmals wieder kommen, wenn weniger Kunden im Laden seien. Alles klar…mit dem Wissen mehrere Stunden für die Auskünfte vergeudet zu haben, fuhr ich am Comer See entlang weiter nach Norden. Zusätzlich zu meiner gedrückten Stimmung zeigte das Wetter sich dann von ähnlicher Seite und nach wenigen Kilometern fand ich mich in heftigstem Regen und Gewitter wieder – mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Der Regen lief in Strömen vom Dach herunter und geradewegs in meine Schuhe hinein, die leider gerade so nicht geschützt waren…ich hielt am Rande der Straße an und wartete, bis das Schauspiel vorüber war. Der gerade einmal 50 m entfernte See verschwand komplett hinter der extrem dichten Wand aus Regen. Mein einziger Gedanke war „ohje, hoffentlich stirbt jetzt nicht die Elektrik“, denn bisher gab es keinen einzigen längeren Test im Regen, denn den dafür notwendigen Regen gab es bisher in Spanien schlichtweg nicht. Der Moment für den harten Regentest war also genau jetzt – ohne Netz und doppelten Boden. Im langsam nachlassenden Regen fuhr ich weiter und wurde von den Rädern hochgewirbelten Regen weiter geduscht, obwohl gar kein Regen mehr vom Himmel fiel. In einer Tiefgarageneinfahrt konnte ich mein Smartphone-Bildschirm soweit trocknen, dass ich ihn wieder bedienen konnte und das nächst gelegene Hotel ausfindig machen konnte. Zum Glück waren es nur wenige Kilometer, die ich völlig durchnässt und ausgekühlt zurück legen musste, bis ich dann wie ein nasser tropfender Hund am Empfangstresen des Hotels stand und meinen Zimmerschlüssel in Empfang nehmen konnte. Mein Zimmer war gleich eine vollständige Ferienwohnung, genug Platz also alle nassen Teile auszubreiten und zu trocknen.
Bei einer Pizza im hoteleigenen Restaurant hieß es dann „Umplanung“. Anstatt bis kurz vor den Maloja-Pass zu fahren und wie am Vortag mich nah an die 200 km Marke heran zu arbeiten, waren es lediglich 134 km für die Etappe an den Comer See, den ich eigentlich schon hinter mir wissen wollte. Nun gut, das Leben ist das, was passiert, wenn man andere Pläne hat…nach der Unterbringung des Fahrrads unter dem Dach der Restaurant-Außenterasse ging es umgehend ins Bett, um am nächsten Morgen möglichst früh zu starten. Gerade am Comer See ist die Verkehrslage dicht und angespannt, Fahrradwege gibt es fast nirgendwo, denn zwischen Berghang und See ist wenig Platz, und der Platz der vorhanden ist, ist meist restlos zugebaut. Wie fast jeden Morgen stand ich schon vor 5 Uhr auf und um ca. 6 Uhr war ich bereits unterwegs. Jeden Morgen „Kaltstart“, Frühstück hatte ich nirgendwo, denn zu den üblichen Frühstückszeiten hatte ich üblicherweise schon 50km oder auch mehr hinter mir. Ich aß meistens während der Fahrt, unter meinem Sitz ist stets eine gute Auswahl an Hülsenfrüchten, Müsliriegel, Obst und Gemüse, das sich nebenbei bei der Fahrt verzehren lässt. Meine Kleidung war übrigens nicht vollständig über Nacht getrocknet, selbiges galt für mein Fahrrad. Der Fahrradsitz mit Isomattenpolsterung war nach wie vor wie ein voller Spülschwamm mit Wasser gesättigt, zum Glück hatte ich noch Plastikfolie übrig, auf die ich mich setzen konnte. Die Elektrik hat den heftigen Regen einwandfrei überlebt (Hurra!) und meine noch nassen Schuhe und Kleidungsstücke konnte ich auf den Packsäcken festschnallen, um im Fahrtwind zu trocknen. So arbeitete ich mich zu früher Stunde am wolkigen Comer See entlang in Richtung Norden. Ich bin ganz sicher, dass es eine wunderschöne Gegend ist, für mich blieb die Region leider als einer der absoluten Tiefpunkte der Tour in Erinnerung. Unkooperative Fahrradläden, schlechtes Wetter, dichter Verkehr und die Gewissheit, dass ich in Richtung Norden und Gebirge die extremste Steigung der Tour direkt vor mir haben würde: Der Maloja-Pass. 1600 Höhenmeter, die es auf 40 km Distanz zurück zu legen galt – Steigungen bis 18 % und die steilsten Stellen auf den allerletzten Kilometern, gewürzt mit starkem Verkehr.
Der Respekt vor diesem Abschnitt war groß, denn der Weg durch die Alpen ging nur über diesen Pass, Fahrradwege gab es hier nicht mehr. Durch meine relativ kurze Etappe am Vortag waren es zahlreiche Kilometer, die ich zurück legen musste, bis die große Steigung begann. Zum Glück kam die Sonne hinter dem Comer See wieder zum Vorschein und ich konnte danke ausgedehnten Pausen und flachem Streckenprofil am Fuße des Berges mit ca. 90 % Akkuladung in die „Schlüsselstelle“ der Tour hinein starten. Am Comer See, gerade einmal 200 m über dem Meeresspiegel waren es noch circa 30 Grad Lufttemperatur, mit zunehmender Höhe wurde es nun immer kälter. Die Sonne strahlte vom Himmel und die Solarpanele lieferten Rekordwerte an Strom, der umgehend in den Motor wanderte. Ich legte einige Pausen auf dem Weg nach oben ein, insgesamt waren es am Ende circa 4 Stunden, die ich am Berg verbrachte. Auch am Berg war der Grenzübergang in die Schweiz, winkend fuhr ich wieder einmal an der Polizei vorbei, die ebenso zurück winkte und ich freute mich, Italien endlich hinter mir liegend zu wissen. Der Verkehr war entgegen der Erwartung relativ entspannt und wenige Meter unter dem Gipfel grüßte noch einmal ein bereits bekanntes Phänomen: Leistungsrücknahme vom Motor wegen Überhitzung. Ich fand eine Haltemöglichkeit an der fast steilsten Stelle und konnte in dieser Regenrinne warten, bis das Motorsteuergerät abkühlte. Letztendlich war das Steuergerät nun über Stunden extremen Belastungen ausgesetzt und eine kurze Pause hatte es sich mehr als verdient.
Wenige Momente später war der Ort „Maloja“ in der Schweiz erreicht, die Temperaturen waren nun nur noch knapp über dem Gefrierpunkt. Die Gefühle waren das genaue Gegenteil, ich war überglücklich nach 100km am heutigen Tag, der Tag 6 der Reise war, am Gipfel der Tour mit etwas mehr als 1800 m über dem Meer zu sein. Zu allem Überfluss begann das Wetter nun stetig schlechter zu werden, also gab es keine Pause, sondern es ging direkt weiter am Lunghinsee vorbei, aus dem der Inn entspringt und den ich von nun an bis Innsbruck folgen werde. Die guten Nachricht: Von nun an geht es im Durchschnitt stets mehr bergab als bergauf. Leider fing es dann an zu regnen – bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt kein Spaß. Auch hier musste leider wieder eine spontane Entscheidung her und anstatt noch weitere Kilometer in der Schweiz hinter mir lassen zu können, war ich nach nur 123 km schon gezwungen, wieder einen Unterschlupf zu suchen. Die Wettervorhersage verhieß zudem keine guten Aussichten, je nach Vorhersagemodell drohte eventuell sogar Schnee – im Juni. Ich war auf vieles vorbereitet, darauf jedoch nicht. So war die Entscheidung nicht schwer und im eiskalten Regen kam ich wieder einmal ungeplant und viel zu früh in einem Hotel an. Die Freude und Erleichterung über die geschaffte „Schlüsselstelle“ der Tour und über eine Heizung und ein dichte Dach über dem Kopf überwog bei weitem der doch eher zu kurz geratenen Etappe, denn nun stand fest, dass es „nur noch“ in etwa 200 km bis nach Innsbruck sein würden. 200 km mehrheitlich bergab, das sollte ohne Regen möglich sein?! Am Abend kam dann die Nachricht der Nachrichten, auf die wir bereits monatelang warteten: Paraklettern wird bei den Paralympics 2028 in Los Angeles mit dabei sein! Die formelle Bestätigung durch das Internationale Paralympische Komitee stand noch aus, aber der Veranstalter, der zusätzliche Sportarten benennen durfte, hatte sich für Paraklettern entschieden! Als Mitglied und Vorsitz des Parakletter-Komitees in der IFSC waren es quasi gleich 2 Medaillen, die mir an diesem Tag überreicht wurden: Eine für die erfolgreiche Bezwingung des Maloja-Passes und eine weitere für die Inklusion als Sportart in die Paralympics 2028 in Los Angeles. Nach einer kurzen, erholsamen Nacht ging es am Morgen von Tag 7 wieder auf die Straße und in Richtung Innsbruck. Würde das Wetter halten? Die Wettervorhersagemodelle waren sich wieder uneinig über die Wetterbedingungen, einig waren sie jedoch alle, dass es nicht nur blauen Himmel und Sonnenschein geben würde…
Die Straße ging mehrheitlich bergab und folgte den atemberaubenden und wilden Landschaften entlang des Inns. Kaum Verkehr, dafür reichlich Baustellen begleiteten mich auf dem Weg in Richtung Österreich. Der ein oder andere kurze Regenschauer war auch mit dabei, aber nie so viel, dass es mich in irgendeiner Weise bremsen oder stören würde. Die Kilometer flogen nur so an mir vorbei und ich hoffte einfach nur, dass das Vorderrad weiterhin halten würde. Die Grenze nach Österreich galt es nun noch zu überqueren und mit der 100km-Halbzeit-Marke noch am Vormittag war klar, dass die Etappe bis nach Innsbruck an diesem Tag funktionieren kann. Die Streckenführung folgte nun dem Flussradweg des Inns, der jedoch stellenweise sehr kurvig, eng und nicht mit gutem Straßenbelag ausgestattet war.
Wann immer es möglich erschien, bin ich auf die Landstraßen im Inntals ausgewichen, auch weil auf dem Radweg einiges an Radverkehr war, dessen Tempo nicht mit meinem Tempo zusammen passte – der normale Radfahrer ist in Kurven und unübersichtlichen Lagen deutlich schneller als ich unterwegs, wohingegen auf den Geraden ich dann meist wieder schneller bin. Kurz vor Innsbruck kam mir meine Kollegin Jasmin Plank vom Parakletter-Team Österreich mit ihrem Handbike entgegen und zeigte mir dem besten Weg durch Innsbruck zu meinem Ziel am Kletterzentrum, wo in ein paar Tagen der Weltcup stattfinden sollte. Wir rollten auf die bereits komplett leere Wettkampfwand zu, in der in den kommenden Tagen unsere Wettkampfrouten geschraubt werden. Der Empfang war unspektakulär und mehr oder weniger unbemerkt, nur einzelne anwesende Personen wussten, welch spektakuläres Projekt dort gerade in sein Ziel gerollt war…
Nach einer Pause im Ziel ging es dann noch ein paar Kilometer weiter zu Jasmins Haus, wo mein Solarbike die nächsten Tage bis nach dem Wettkampf geparkt werden sollte. 212 km an einem einzigen Tag, unglaublich… über 1000km in 7 Tagen mit über 12.000 Höhenmeter, die es zu überwinden gab. Für ich selbst ging es am nächsten Tag direkt weiter nach Deutschland zu meinen Eltern, wo ich bis zum Wettkampf regenerieren wollte. Und die war bitter nötig: Meine Arme und Schultern waren hart wie nach einer sehr harten Klettertour – mit dem Unterschied, dass die Arme nicht nur ein paar Minuten „dick“ waren, sondern gleich mehrere Tage. Darüber hinaus hatte ich leicht taube Finger, Hände und Unterarme auf der linken Seite. Überreizte Nerven, die sprichwörtlich „genervt“ reagierten und noch bis zum Wettkampf selbst ganz leichte Überreste davon zeigten. Der Wettkampf endete mich mit dem 10. Platz in einer Gruppe aus 19 Startern in meiner Startklasse RP1, was für meine Einschätzung absolut in Ordnung war. Gerade in diesem Jahr ist die Leistungsdichte enorm gestiegen, alleine zwischen dem 5. und dem 15. Platz sind nur wenige Züge Unterschied und schon ein winziger Fehler, ein schlechter Tag oder eine Route, die einem nicht liegt, macht den Unterschied, ob man im Finale klettert (Platz 1-6 in der Qualifikation), oder ob man sich am unteren Ende des Rankings wieder findet und im Finale lediglich den Zuschauerplatz hat.
Nach dem Wettkampf hatte ich noch 2 Tage Zeit, Reparaturen und Optimierungen am Solarbike durchzuführen und dann weiter nach Deutschland nach Kemmenau bei Bad Ems aufzubrechen. In dieser Zeit gab es für mich extrem viel zu tun: Einen Tag nach dem Wettkampf kam die Entscheidung vom IPC, dass der Vorschlag, Paraklettern als zusätzliche Sportart bei den Paralympics 2028 zu akzeptieren, final bestätigt wurde. Als Funktionär Kletter-Weltverband IFSC hatte ich viele Gespräche zu führen, Pressekonferenz, Telefonate, Presseanfragen … das Projektan dem ich hinter den Kulissen seit 2019 mitgewirkt hatte, ging nun endlich über die Ziellinie!
Und so ganz nebenbei musste das Solarbike „auf die Startlinie“ geschoben werden. Die Liste der Dinge, die auf den 1000km nach Innsbruck kaputt gegangen sind und deren Reparatur noch ausstand, war doch relativ kurz:
Gebrochene Speiche
Mantel Vorderrad tauschen (komplett herunter gefahren)
Schaltungszug tauschen (war nur provisorisch repariert)
Bremsbeläge tauschen
Lose Schrauben nachziehen
Scheinwerfer tauschen
Elektrik kontrollieren
Für einen Prototypen nicht schlecht – wenn ich an die ersten Testfahrten zurück denke, wo das Solarbike mehrfach von meinen Freunden mit großem Auto „abgeborgen“ werden musste oder im einfachsten Falle von meinen Freunden jemand Ersatzteile an Ort und Stelle gebracht hat – es gab Testfahrten, wo mehr geschraubt als gefahren wurde. Das hat sich zum Glück komplett gewandelt!
Auch wenn die Reparaturliste in Innsbruck kurz erschien, so war sie nicht „einfach“, denn die ersten beiden Punkte wollte ich einen Fachhändler erledigen lassen. Der versprach mir schnelle Reparatur, er hatte in Summe auch viele Tage Zeit, jedoch stellte sich die gebrochene Speiche als sehr komplex heraus: Zuerst wurde ein falsches Ersatzteil geliefert, dann gar keines und am Ende musste ich ein Ultimatum setzen, um die Abfahrt nicht zu gefährden – das einzige, was der Händler in 10 Tagen, die er Zeit für die Reparatur hatte, final erledigen konnte, war eine Speiche mit falschem Durchmesser gemäß dem Motto „wird schon halten, mehr war nicht drin“. Mein Fazit: Ich muss in Zukunft meine eigenen Speichen mit dabei haben und den Wechsel inklusive Rad auswuchten mit einfachsten Mitteln irgendwo im Nirgendwo selbst beherrschen. Das ist möglich! Der Team-Physio vom deutschen Kletternationalteam, Martin Schlagether, kam während dem Wettkampf zu mir und meinte „als ich damals mit dem Rad durch die USA gefahren bin, habe ich auch x Speichen selbst wechseln müssen, ist halb so wild, wenn man einmal den Dreh raus hat“. „Wie bitte Martin? Du bist mit dem Rad durch die USA gefahren?“ „Ja klar, zwei Mal sogar, einmal von Alaska nach Mexiko und einmal von New York an die Westküste, war aber keine gute Idee weil Du dann von Anfang bis Ende nur Gegenwind hast.“ Willkommen im klassischen Schubladendenken! Wir reden sonst nur übers Klettern und durch mein Solarbike-Projekt kommt nun so „nebenbei“ heraus, was „abseits der Wand“ bei einigen Weggefährten noch so passiert … spannend!