Vorweg: Der nachfolgende Bericht stellt die Ereignisse in Marokko aus meiner Sicht dar. Um ein Haar wäre es schwer verletzt oder tödlich geendet – wie durch ein Wunder bin ich trotzdem ohne einen einzigen Kratzer aus der Veranstaltung heraus gekommen.
Aber von Anfang an! Auf der Solarbike Tour im Herbst 2024 von Deutschland zurück nach Mallorca habe ich in Toulon (Südfrankreich) den Technikchef des „SunTrips“ (Sitz der Organisation, die seit vielen Jahren Solarbike Rennen veranstaltete, ist in Frankreich) getroffen. Ein echter Experte mit riesig viel Erfahrung und er hat letztendlich in mir den Impuls gesetzt, die Herausforderung „SunTrip 2025 Marokko“ anzunehmen. Geplant war ein Rennen über 3000km von Tanger an der Straße von Gibraltar bis nach Laayoune in der Westsahara (geographische Höhe von den Kanaren) – quer durch das Atlas Gebirge und die Sahara-Wüste.
Mit meinen über 6000km an Solarbike Erfahrung fühlte ich mich reif für diesen Schritt und von dort an begann die systematische Vorbereitung. Im Januar 2025 war ich mit einer von Grund auf überholten Version (Version Nr. 3) so weit, dass ich wusste, „es könnte klappen“ – von technischer Sicht her. Die Anmeldezahlen für das Rennen waren leider nur sehr mau. Zunächst hieß es, es seien eine Hand voll Teilnehmer angemeldet, schlussendlich stellte sich jedoch heraus, dass es außer mir nur einen weiteren Teilnehmer gab – Raf van Hulle mit seinem „Solar-Cabrio“, Gewinner mehrerer vorheriger Ausgaben vom SunTrip und sehr erfahren. Alle weiteren Teilnehmer sind in der sog. „Reisegruppe“ unterwegs, eine 1800km Tour, die deutlich einfacher sein sollte und auch mit teilweise geplanten Übernachtungen und Begleitfahrzeug mit zwei erfahrenen SunTrip Teilnehmern, einer davon gebürtiger Marokkaner, der mit Rat, Tat und Sprachkenntnis mit zur Seite stehen sollte.
Ich war nach wie vor voll davon überzeugt, das Rennen fahren zu wollen, denn eine „organisierte/geführte/begleitete“ Solarbiketour war nicht in meinem Sinne nach all meinen eigenen Abenteuern. Ich wollte große Distanzen (200km+ pro Tag), Abenteuer, alleine sein – aber keine „begleitete“ Gruppenreise. Der Veranstalter hat im letzten Moment noch ein 3. Solarbike für das Rennen organisiert, ein Tandem, was ebenfalls bereits bei vergangenen Ausgaben des SunTrips mit dabei war. Immerhin …
Der SunTrip 2024 (eine 7000km Runde: Frankreich-Spanien-Portugal-Spanien-Marokko-Spanien-Frankreich) war deutlich stärker besetzt, ebenso alle anderen Ausgaben in den Jahren davor. Es war mir ein Rätsel, warum es nun so „mau“ aussah im Rennformat. Nun gut, ich bereitete mich mit hohem Zeit- und auch monetärem Aufwand auf das Rennen vor, ließ sogar den fast gleichzeitig stattfindenden Para Climbing Weltcup in Salt Lake City aus.
Mit zur Vorbereitung gehörte auch eine ausführliche Recherche zum Land selbst. Was sollte mich dort erwarten? Die Informationen über das Land selbst klafften weit auseinander. Horrorberichte von Straßenhunden, die Radfahrer jagen und attackieren, von Kindern, die Steine werfen oder Menschenketten formen, um Radfahrer anzuhalten, ständige Verfolgung von Polizei und nerviger Marokkaner, die ihre Waren oder Dienstleistungen anbieten wollen bis hin zu wunderschönen atemberaubenden Landschaften, die nicht von dieser Erde zu sein scheinen, unvergleichlicher Gastfreundschaft und „alles easy, ist so sicher wie Europa“ wechselten sich ab. Fazit: Ich musste es selbst heraus finden …
Auch zur politischen Situation in der Westsahara und welche Straßen dort befahrbar sind, gab es im Internet unterschiedliche Informationen. Dazu kommt noch, dass der in Deutschland übliche Begriff „Westsahara“ ist ein politisches Statement ist und auf die Unabhängigkeit des Gebiets hindeutet, politisch korrekt aus Sicht der Marokkaner ist jedoch die Bezeichnung „südliche Sahara“. Wenn ich jedoch Google Maps aufrufe gibt es dem Gebiet den Namen „Westsahara“ und eingezeichnete Grenzen (sogar mehrere, auch gestrichelte). Die Recherche offenbarte innerhalb kürzester Zeit: Die Lage ist komplex. Hier nur kurz gesagt, das Gebiet wird von Marokko aktuell verwaltet und als staatseigenes Gebiet angesehen, es gibt hohe Polizei- und Militärpräsenz, vom Nachbarland unterstützte Freiheitskämpfer, UN-Truppen sind ebenfalls vor Ort und je nach Land (selbst innerhalb der EU) sehr unterschiedliche Meinungen, ob die Westsahara nun zu Marokko gehört oder nicht und wenn ja wie. Weiter möchte ich auf die Lage an dieser Stelle nicht eingehen, wen es genauer interessiert, dem empfehle ich die eigene Recherche zum Thema, das viele Facetten und Aspekte bietet, selbst Spanien spielte darin eine Rolle und die Lage kann sich bis heute noch jederzeit ändern und ist keinesfalls „gesichert stabil“. Ich selbst will ausdrücklich keine der beteiligten Seiten einnehmen, auch nicht durch die Nennung von Gebieten – dies ist aus Sicht der Menschen vor Ort aber immer der Fall, ganz egal welchen Begriff man für diese Region nun wählt. Ich bleibe also bei Google Maps.
Da der SunTrip nicht nur ein kleiner Solar-Fahrrad-Verein ist, sondern politische Beziehungen bis zu höchsten Ebene hat und die Veranstaltung mit Genehmigung und Kenntnis des Marokkanischen Königshauses stattfand, vertraute ich darauf, dass für uns die Lage vor Ort schon in Ordnung sein sollte.
Rückblickend sollte ich mit diesem Thema aber rein gar nichts zu tun haben, denn ich würde dort nie hin gelangen … es gehört in der Vorbereitung aber natürlich mit dazu, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

Los ging es! Auf Mallorca hieß es zunächst „auf zum Hafen nach Palma de Mallorca“, eine Strecke von knapp 70km, die es zur abendlichen Fähre zu bewältigen gab, die dann durch die Nacht nach Barcelona fuhr. Das Solarbike rollte auf seinen wohl bekannten Wegen gen Hafen, das Wetter eher tiefgrau und dunkel, aber mit einem vollen Akku überhaupt gar kein Problem.

Schwer bepackt rollte ich durch Palma zum Fährhafen und stellte mich dort wie gewohnt an. Vor der Fähre hat man in der Regel Zeit, und alle anderen Menschen dort ebenfalls. Mit dem Solarbike ist man hier automatisch also „Ausstellungsstück“.
Schon an der Fähre von Barcelona nach Tanger war klar, hier fahren andere Fahrzeuge und Passagiere im Vergleich zu den Destinationen auf den Balearen, die an den gleichen Terminals abgefertigt werden. Mein kleines Solarbike war zwischen großen Wüsten-Expeditionsmobilen und Kleintransportern, die maßlos überladen waren, der Hingucker schlechthin.

Ich frage mich bis heute, wie man mit solchen Fahrzeugen legal in der EU fahren kann, aber offensichtlich geht das – und die Polizeipräsenz am Hafen Barcelona ist hoch (die Kriminalität aber auch …). Mein Eindruck: Der Deutsche denkt an BAG (Bundesamt für Güterverkehr), TÜV und die Polizei, der Marokkaner denkt an mehr Netze, Spanngurte und mehr Reifendruck – mir war schlagartig klar, dass dies wirklich eine „andere Welt“ sein würde. Zum Glück saß deren Ladungssicherung (ein wahres Kunstwerk!) fester als die Berufsbekleidung (bestehend aus Badelatschen und Jogginghosen). Auf diesem Weg, so sagte man mir, gelangen verschiedene Waren aus Europa nach Afrika und diese Kleintransporter sind als Händler im regelmäßigen Pendelverkehr zwischen Europa und Afrika unterwegs.
Da die Wartezeit wegen der Zollabfertigung einer Fähre aus Algerien für uns um 3 Stunden verlängert wurde (es gibt nur eine Zoll bzw. Ein/Ausreise-Abteilung an diesem Terminal, die jeweils nur in eine Richtung funktioniert), war genug Zeit, sich mit anderen Reisenden vor der Fähre auszutauschen. Unzählige Fotos, Fragen und auch eindringliche Warnungen über mein Vorhaben wurden über mich ausgekippt und ich wurde maßlos zugetextet – am Ende war ich froh, aufs Schiff fahren zu können und meine Ruhe zu haben, denn mein Zeitplan war knapp: Die Fähre sollte nach knapp 30h Fahrzeit am späten Nachmittag des nachfolgenden Tages in Tanger med (der große Hafen außerhalb von Tanger) ankommen und mir blieben bis zum Sonnenuntergang um 20 Uhr nur wenige Stunden, um die rund 40km vom Hafen in die Stadt zum vom Organisator geplanten Hotel zurück zu legen. Nachts auf den Straßen Marokkos zu fahren wurde uns aus Sicherheitsgründen empfohlen ausdrücklich NICHT zu probieren, denn hier herrschen andere Regeln und erst Recht keine Standards wie in Europa. Und in diesen wenigen Stunden musste ich die Einreise nach Marokko, Zoll, SIM-Karte und Bargeld organisieren und das Rennen sollte am nächsten Vormittag direkt starten. Eine Fähre früher nehmen? Keine Option. Die fuhr 6 Tage zuvor …

Bei so langen Reisezeiten auf See kann jedoch alles passieren, und ganz im Gegensatz zur Deutschen Bahn sind 3h Verspätung bei wenig Welle und 30h Reisezeit theoretisch auch wieder „heraus zu fahren“. Über Nacht war auch klar: Das Wetter am Zielort war alles andere als gut. Bis zu 9 Windstärken Wind (75-88km/h), das ist für ein Solarbike extrem gefährlich, da das Dach auch wie ein Segel wirken kann und ich in der Vorbereitung tatsächlich schon einen Unfall wegen genau diesem Thema hatte. Vor der Ankunft wusste ich bereits von anderen SunTrip Kollegen, die ein paar Stunden vor mir mit anderen Fähren ankamen, dass die Windbedingungen „unfahrbar“ waren. Bilder von Solarbikes im Graben oder die von mehreren Personen stabilisiert und am Ende per Kleintransporter nach Tanger gebracht werden mussten, machten im Gruppenchat die Runde.
Die Straße von Gibraltar kann wegen der Berge auf beiden Seiten des Meeres je nach Windrichtung (Ost- oder Westwind) einen Düseneffekt verursachen, der die normal vorherrschende Windsituation in der Meeresenge deutlich verstärken, und genau in einer solchen Lage waren wir nun offensichtlich.
Nun gut, erst mal musste ich runter von der Fähre, notfalls geht es eben direkt am Hafen ins Hafen-Hotel und ich würde es am nächsten Tag versuchen – zusammen mit einer Gruppe Nachzügler, deren Fähren verspätet waren oder die durch den flächendeckenden Stromausfall in Teilen von Europa betroffen waren. Ja, genau zu diesem Zeitpunkt, als wir auf See waren, war quasi ganz Portugal und Spanien ohne Strom …

Unsere Fähre ist am Ende auch dank Rückenwind pünktlich angekommen und nun musste es schnell gehen – und genau das Gegenteil passierte. Wie so oft auf Fähren wurden die Passagiere für die Autodecks zurück gehalten, und das gefiel den an Bord befindlichen Arabern nicht. Es wurde gedrängelt, geschubst und gestritten auf der Treppe, zum Glück konnte ich mich von dem sinnlosen Gerangel fern halten – denn am Ende der Treppe war – für alle von oben offensichtlich – ein Absperrband. Und das Absperrband interessierte sich für deren Meinungsverschiedenheiten herzlich wenig. Nun gut, tief durchatmen und schön zurück halten. An dieser Stelle kam ich nochmals mit zwei Deutschen Motorradfahrern plötzlich sagte „Was machst Du denn mit dem DAV wegen Deiner Jacke? Ich bin im Kletterteam in Augsburg und wir machen da auch bei der Inklusionsklettergruppe mit.“ Die (Kletter)welt ist doch ein Dorf! Unsere Deutsche Meisterschaft im Para Klettern sollte im Juni 2025 genau hier in Augsburg stattfinden. Ich nehme es kurz vorweg: Wir haben uns tatsächlich in Augsburg wieder getroffen – ich an der Wand, der Kollege am Sicherungsgerät unten und sein Motorradfreund kam auch noch extra vorbei. Manchmal ist die Welt echt ein Dorf …

Als ich endlich das Autodeck betreten durfte und mein Solarbike aufrüstete (Gepäck fest schnallen, Fixierung lösen, alles prüfen), lief die Entladung der mit höchster Präzision hoffnungslos überladenen Kleintransportern bereits – und die lief nicht wie geplant, denn diese mussten teilweise mit Anhänger rückwärts heraus rangieren und umdrehen. Wie ich bereits gelernt hatte, Geduld ist hier ein Fremdwort, die Zündschnüre sind kurz und nun wurde es gelinde gesagt brutal: Die Fahrer sind sich ohne Hemmungen gegenseitig in die Autos gefahren – Schreie, Hupen, Splitter, der Klang von knirschendem und brechenden Plastik und Glas, und das immer wieder. Daneben Araber, die sich gegenseitig handgreiflich angingen, während andere nur die Handykamera drauf hielten und andere wieder die Schiffsbesatzung angingen – und daneben ich mit meinem kleinen Solarbike. Wo war ich hier gelandet? Der Kulturschock hat schon einmal richtig solide gesessen.

Ich wartete bis zuletzt und fuhr am Ende als letztes Fahrzeug von meinem Parkdeck, zwischen Teilen von Stoßstangen und zahlreichen undefinierten Splittern hindurch, die definitiv nicht zum Schiff gehörten. Der Zoll war eher an den Wüstenmobilen als an mir interessiert, so gestaltete sich die Einreise als extrem unkompliziert und schnell. Meine Seglernase hat sofort festgestellt, dass der Wind auf jeden Fall stark, aber keine 9 Beaufort mehr sein könnten. An der Hafenausfahrt noch schnell eine SIM-Karte organisiert und los ging es auf die Schnellstraße, die in Richtung Tanger und auch in Richtung Hafen-Hotel führte. Auf dieser kurzen Strecke wollte ich die Entscheidung treffen, ob ich es nur bis zum Hafen-Hotel oder bis Tanger versuchen würde. Hinter den Leitplanken vor dem mit hohen Zäunen und streng bewachten Hafengelände lungerten Menschen – sind sie auf dem Fluchtversuch in die EU, die in Sichtweite auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar lag?! Willkommen in Afrika! Der Eingang zum Passagierterminal war hier keinesfalls, dafür aber zahlreiche abgestellte LKW, die auf Einfahrt und Abfertigung im Hafen warteten. Ich lebe auf Mallorca in einer Gegend, in der ab und zu Flüchtlingsboote anlanden, so sieht also „die andere Seite“ aus dachte ich nur und versuchte mich auf den Wind und die Böen zu konzentrieren. Der Sturm zerrte am Solardach, das ich mit extra Leinen noch horizontal fixiert hatte und ich hatte das Gefühl, dass es trotzdem klappen könnte.

Also machte ich mich auf den Weg – am Hafenhotel vorbei und die nächsten 2,5h gehörten mit zu den intensivsten Kilometern, die ich jemals auf dem Solarbike gefahren bin. 700 Höhenmeter gab es bergauf und bergab auf der Küstenstraße zu bewältigen, die sich am Berghang über der Straße von Gibraltar entlang schlängelte – atemberaubende Blicke und Schönheit, für die ich jedoch keinerlei Zeit oder Nerven hatte, das Bild oben ist das einzige, was ich hier in der Euphorie des Moments hin bekommen hatte. Einer meiner Außenspiegel fiel relativ schnell ab (nicht wegen Wind, Strukturschwäche am Schwanenhals) und musste mit Tape fixiert werden. Toll dachte ich, geht ja schon gut los, gleich mal 5km in Afrika gerollt und schon ist die Werkzeugkiste auf … ich kämpfte mich teilweise mit Schrittgeschwindigkeit bergab gebremst durch Fallwinde, Böen und Windschatten/Windkanäle hindurch und kam in der hereinbrechenden Dämmerung am Stadtrand von Tanger an. Hier konnte ich nun an der Hafenpromenade die Stadt im dichten Verkehr durchqueren, bis ich am Restaurant bei den anderen SunTrip-Teilnehmern vorbei kam … welch eine Erleichterung, geschafft!
Mein Konkurrent im Rennen, Raf van Hulle, würde erst am nächsten Morgen mit der Fähre ankommen. Das Solartandem war leider kurz vor der Fähre in Frankreich mit einem Achsbruch unrettbar beschädigt gestrandet und mit dem Anhänger zurück an seinen Startpunkt. Schade, denn genau mit dem Duo wäre ich vermutlich auf Augenhöhe gewesen was unsere Fahrleistung und Reichweite angeht. Ich war am Abend zuvor also der einzige Rennteilnehmer, der vor Ort war. Der Veranstalter hat mir direkt angedeutet, dass sie das Rennformat mit großen Fragezeichen sehen und uns anraten, mit der Reisegruppe zu fahren und das Rennen komplett sein zu lassen. Vorab hatten wir schon die Vereinbarung getroffen, dass ein Rennen mit 3 Solarbikes, die unterschiedlicher kaum sein konnten, kaum Sinn macht und einziges Ziel war für uns, den Tagesrekord von 475km an einem einzigen Tag (!) vom SunTrip 2024 zu brechen, aber keine „Wettfahrt“ im Sinne von „wer zuerst in Laayoune ist“ veranstalten werden. Raf van Hulle war aus meiner Sicht der einzige, der darauf eine realistische Chance hatte, mein Rekord lag damals bei 320km an einem Tag, allerdings in knapp 14h Fahrzeit und 18h in Summe unterwegs – im Rennformat würden wir für die den Rekord von 475km nur 13 oder 14h Zeit haben. Ich ging auf mein Hotelzimmer und dachte nach. Was sollte ich tun? Mit der Gruppe fahren? Mit/gegen Raf van Hulle zu fahren, was keinesfalls in irgendeiner Weise vergleichbar ist? Die ersten ca. 100km bis Larache sollten wir alle zusammen sowieso im Prolog fahren, insofern war noch ein ganzer Tag und 2 Nächte Zeit, die Lage zu überdenken und eine Entscheidung zu treffen.

Der nächste Tag brach an, beim Frühstück gab es ein letztes Meeting. „Euer größtes Problem und Gefahr sind die Kinder und die Hunde.“ Oha! Im weiteren Verlauf wurde uns erzählt, dass es im Vorjahr in Marokko ein paar Ereignisse, die von einige Teilnehmer nicht so gut aufgenommen wurde. Okay … kurze Rückblende: In meiner Recherche habe ich von genau diesen Problemen bereits von anderen Radreisenden gelesen. Es gab eine Umfrage mit den Teilnehmer aus dem SunTrip 2024 mit vielen Fragen zu Marokko. In den Antworten waren ein paar Probleme angedeutet, aber nicht so deutlich wie hier im Meeting nun vor Ort. War das der Grund, warum bis auf einen einzigen Teilnehmer der Reisegruppe von der 2024er Edition niemand mehr 2025 mit fahren wollte? Letztendlich spielte die Antwort auf die Frage zu diesem Zeitpunkt auch keine Rolle mehr. Gegen die Hunde wurde uns empfohlen immer etwas zum fallen lassen dabei zu haben, z.B. leere PET-Flaschen, da diese die Hunde ablenken würden und deren Verfolgungsjagd unterbrechen würden. Gegen die Kinder-Menschenketten wurde empfohlen mit Vollgas hinein zu fahren, sie würden schon im letzten Moment weg springen. Oha! Ich war überrascht aber fokussiert, schließlich sollte es in wenigen Momenten los gehen, keine Zeit mehr sich groß Gedanken zu machen. Auf meinen ersten 40km im Land hatte ich bis auf ein paar desinteressierte Straßenhunde und Kinder, die im vorbeifahren High-five geben wollten, keine schlechten Begegnungen oder Erlebnisse gehabt.
Also ging ich das Solarbike packen und los ging es zum Startpunkt durch das absolute Verkehrschaos in Tanger. Verkehrsregeln? Hahahaha… hier fährt man einfach drauf los. Fast niemand hupt. Und es funktioniert. Adrenalin pur, vor allem, wenn man wie ich mit dem Gesäß gerade mal 9 cm über der Straße sitzt und in die Scheinwerfer der anderen Autos guckt.


An der offiziellen Startlinie angekommen trafen auch die Nachzügler ein, ich wechselte ein paar Worte mit Raf van Hulle und dann musste ich den GPS-Transponder installieren, der mir übergeben wurde. Der von mir bereitgehaltene Stecker war nicht funktionsfähig (Murphys law und so …), also musste vor dem Start schon die Werkzeugkiste geöffnet werden und den Kabelbruch finden und beheben. Es war für mich weder Zeit die Solarbikes der anderen zu begutachten, noch ein paar mehr Worte mit den anderen Teilnehmern zu wechseln, nur ein paar schnell aus der Hüfte geschossene Bilder.


Nach dem „offiziellen Teil“ der Veranstaltung, bei dem lokale Politik (?!) und andere Menschen ihre Reden gehalten hatten (ich musste spontan auf Französisch was erzählen …), startete Prolog am Hafen von Tanger unter den Klängen der Musik von einer einheimischen Gruppe. Von der Polizei geleitet fuhren wir durch das Villenviertel aus Tanger nach Westen hinaus. Villen? Nun ja, teilweise waren es eher echte Paläste mit bewaffneter Bewachung und Rasen, der kaum perfekter getrimmt sein konnte – wie aus einem Bilderbuch heraus gefallen und in der Realität gelandet sah es hier teilweise aus.

Am ersten Berg überhitzte direkt mein Motor – vermutlich weil ich meine Park-Feststellbremse in dem Chaos vergessen hatte zu lösen und ich war ziemlich weit hinten. Ging ja schon gut los … bergab wollte die Brems-Rekuperation dann auch nicht mehr volle Leistung bringen (wegen Überhitzung) und der erste Stop mit der Gruppe in der Nähe des Strandes, wo die Solarbike-Gruppe direkt bei einer Kamelherde parkte, gab die Gelegenheit einmal durch zu atmen und innerlich zu sortieren.

Der Himmel war grau und verhangen und die Gruppe arbeitete sich langsam aber stetig in Richtung Süden. Nach und nach zog sich die Gruppe auseinander und ich fuhr alleine mein Tempo. So langsam kam ich gefühlt im Land an, aber irgendwie auch nicht. Die Hunde waren zum Großteil desinteressiert, aber einige legten tatsächlich kurz zur Verfolgungsjagd an, aber immer nur kurz, denn gegen ein elektrisches Fahrrad hat ein Hund in der Regel wenig Chancen. Trotzdem Adrenalin pur, denn nicht immer und überall kann man die Situation mit „Tempo“ lösen. So langsam deutete sich auch Regen an, und der fiel am Ende auch. Es war windig und kühl und ich dachte, ich befinde mich auf einer Solarbike-Tour im kalt-regnerischen (Mittel)Europa, aber nicht in Afrika 😉
An einer Abzweigung fuhr ich hinter anderen Teilnehmern in die falsche Richtung, bis wir vom Begleitfahrzeug wieder „eingesammelt“ wurden. Ich dachte zu dem Zeitpunkt, ich wäre irgendwo in der Mitte der Gruppe, folglich musste ich nach der Irrfahrt irgendwo am Ende sein. Ich war wieder alleine, es regnete und der Spray der Reifen durchnässte meine Kleidung. Jacke anziehen? Ach neee … ganz so kalt war es nicht, also fuhr ich einfach schneller, um nicht auszukühlen. Hey, wir sind hier in Afrika, nicht in Deutschland!

Im Tunnelblick fuhr ich stumpf durch den Regen und spulte km für km ab und irgendwann kam eine Messenger-Nachricht aus der Familie, dass das Satellitentracking nun online sei und die Frage wo ich denn darauf zu finden wäre. Der Regen ließ nach, also hielt ich kurz an und sah mir zum ersten Mal die Karte im Internet an. Welche Farbe war eigentlich ich? Fazit: Ich war mehrere Kilometer vor allen anderen Teilnehmern, die nun beschlossen eine Kaffeepause einzulegen. Ich fuhr also weiter in Richtung Larache, denn umdrehen in Richtung Regen machte aus meiner Sicht keinen Sinn. Entlang der Straße immer wieder Stände, an denen Essen oder andere Dinge verkauft wurden, überall Müll und wo Menschen waren, waren meist auch Hunde, von denen immer wieder einige zur Jagd ansetzten. Entlang der Straße waren auch Behausungen, die nur aus Ästen und Plastikplanen bestanden, in denen offensichtlich Menschen im Müll lebten – was für ein Kontrast gegenüber den Villen und Palästen, die wir zuvor noch in Tanger gesehen hatten.
Kurz vor Larache hielt ich an einer Flußmündung an, um mit der Gruppe in die Stadt hinein zu fahren. Immerhin war die Sonne wieder heraus gekommen und der Akku war fast wieder voll geladen. Auf dem Parkplatz von einer Nebenstraße wurde ich jedoch schnell von einheimischen entdeckt und in Gespräche verwickelt und „belagert“.

Die Menschen waren nett, aber trotzdem aufdringlich und nahmen keine Rücksicht darauf, dass ich zum Beispiel parallel versuchte zu telefonieren und texten mich zu bzw. machten Bilder mit mir. Respekt? Null. Abstand? Noch weniger. Ich war froh, als ich im Tracking die ersten Teilnehmer auftauchten und ich machte mich auf den Weg. Das Tracking ist leider so verzögert, dass ich sie verpasste, also rollte ich alleine in die Stadt zum vorab vom Veranstalter festgelegten Hotel.
Am Abend sprach ich nochmals mit Raf von Hulle und wir kamen zum Schluss, dass die 3000km Renndistanz keinen Sinn machte und er hatte keine Ambitionen darauf, sich alleine unter diesen Bedingungen auf die Route zu begeben, denn er war nonstop von Belgien aus durch Frankreich und Spanien bis zur Fähre an der Straße von Gibraltar gefahren und hat täglich 300km zurück gelegt. Er wolle in der Wüste im Süden einen Rekordversuch auf die 475km maximale Tagesdistanz versuchen. Also war klar: Auch ich würde mich an der Gruppe halten. Alle Stunden mit der Routenplanung umsonst und ich würde nun „einfach nur“ den anderen hinterher rollen. Innerlich fühlte ich mich damit wohl, gleichwohl ich mir generell etwas anderes in Marokko erhofft hatte.
Der nächste Morgen führte mich endlich zum Geldautomat um mehr Bargeld zu organisieren und ich wollte mein Seil vom Dachmechanismus tauschen, das nach dem Sturm nicht mehr so zuverlässig klemmte, wie ich es mir wünschte. Beim örtlichen „Baumarkt“ wollte mich der Verkäufer nicht nur ein Seil verkaufen sondern auch direkt noch vom Islam überzeugen (die Jungfrauen im Paradies, Wunderheilung, usw.) und er wollte mich auch direkt mit Glaubensbekenntnis konvertieren. Ich ließ mich auf eine Diskussion mit ihm zum Thema Religion ein, wenn es mein Gegenüber nicht so ernst gemeint hätte, wäre es irgendwie lustig gewesen. Es ist eine andere Welt, die ich nun aus erster Hand erkunden und erleben durfte. Religion hat hier eine völlig andere Rolle und Bedeutung wie in Europa. Schon morgens zum Sonnenaufgang schallt die erste Predigt/Gebet der Geistlichen über die Ortschaften und fordert zum Gebet und so geht es regelmäßig durch den Tag bis zum Sonnenuntergang.

Tag 2 war nun also auf einer Strecke, die ich nicht vorbereitet hatte, das Wetter sah durchwachsen aus und es gab zwei Alternativen: Eher am Meer oder im Landesinneren. Am Meer sollte das Wetter eher besser sein, also schloss ich mich einer Gruppe an, die hier entlang fuhr. Zuerst ging es auf gut ausgebauten Nationalstraßen entlang, bis wir dann in kleinere Provinzialstraßen einbogen – und hier wurde es abenteuerlich. Schlaglöcher vom Format eines Mountainbike-Trails und plötzliche Unterbrechungen der Teerstraße waren Normalität. Teilweise viel Verkehr, dem wir offensichtlich im Weg waren. Alles voller Dreck, Staub und überall Müll. Auch der Regen schaute kurz vorbei, Wolken und Sonne – Abwechslung war garantiert!

Auf einer Ortsdurchfahrt wurde es dann zum ersten Mal kritisch: Zahllose Kinder standen entlang der Straße, wir fuhren hindurch und im Lärm und Chaos flogen die ersten Steine. Einen Kollegen hat es am Oberkörper erwischt, mich am Solardach. In der Folge versuchten mich Kinder mit einer Menschenkette zu stoppen und ich musste mein Fahrzeug als Waffe einsetzen, gab Gas und hielt die Richtung klar bei. Das Kind sprang im letzten Moment weg und ich war ziemlich fertig mit den Nerven. An Speed-Bumpern blieb ich letztendlich einmal hängen, zum Glück griff ein Kollege ein und befreite mich mit roher Gewalt. Bei weiteren Passagen mit niedriger Geschwindigkeit haben Kinder versucht, sich hinten an meinem Rad fest zu halten, ich konnte sie jedoch abschütteln. Immer wieder Speed-Bumper und Schlaglöcher, Kinder, Hunde, Stress … ich war froh, nicht alleine zu sein, denn sicher fühlte ich mich keinesfalls mehr.

Wir legten eine Pause an einem Straßenrestaurant ein und ein weiterer Kollege stieß zu uns hinzu – von nun an sollten wir zu viert unterwegs sein. Er fuhr ebenfalls durch die Dörfer mit den Horden von skrupellosen Kindern, die sein Rücklicht abgerissen hatten. An meinem Rad fehlte hinten eine Marokko-Flagge.

Weiter ging es in Richtung Kénitra und der Verkehr nahm merklich zu. Wir waren nun in zwei 2er-Gruppen unterteilt und spulten km für km ab. Immer wieder Kinder, Tunnelblick, Gas, Hupe und geradeaus hindurch. Mit einem Mal ging alles ganz schnell: Ich fuhr geradeaus, hinter mir mein Kollege und ein Auto überholte uns. Als das Auto neben mir war, zog es plötzlich nach rechts in mich hinein, es knallte und ich zog das Steuer instinktiv nach rechts und fuhr am Auto klebend nach rechts in den Graben – der an dieser Stelle zum Glück nur aus einem 5cm Absatz hin zu hartem Sand bestand. Abhänge, Schlaglöcher, Gräben und anderer gefährliche Gegebenheiten wären hier auch möglich gewesen … das Auto rollte weiter, ich rollte aus und der Verkehr rollte unaufhaltsam weiter, es gab keinen Platz, also rollte ich ebenfalls weiter. Ich prüfte mich kurz, alles schien in Ordnung, ebenso das Fahrrad, aber ich stand unter Schock und kurbelte im Tunnelblick stumpf weiter. Wie mir mein Kollege nachher berichtete, kam uns ein Bus entgegen, der sogar in den Graben auswich und dort laufende Personen gefährdete, trotzdem reichte der Platz nicht aus und der PKW rammte mich einfach weg. Wie durch ein Wunder ist nichts passiert und weder an mir noch am Fahrrad ist ein Kratzer gewesen. Meine Psyche hat jedoch einen ordentlichen Knacks erlitten und für mich war an dieser Stelle klar, dass es nicht die Frage ob, sondern nur wann etwas schlimmeres in diesem Land geschehen würde. Weiter fahren kam mir plötzlich wie ein sinnloses und hochgefährliches Unterfangen vor. Mein Kollege hinter mir hatte sowieso beschlossen aus technischen Gründen (keine Chance an Steigungen, falsches Motor-Setup) die Tour zu beenden und meine ersten Worte, nachdem wir eine Stelle zum sicheren halten gefunden hatten, waren nur „Du fährst morgen nicht alleine zurück zum Hafen. Ich bin raus.“ Von diesem Moment an habe ich nur noch funktioniert. Kilometer für Kilometer spulten wir in Richtung Kénitra ab, der Verkehr nahm weiter zu und wir rollten am Ende zu viert in die Stadt ein. Mein Kollege stürzte zu guter Letzt noch und sichtlich geschockt und „fertig“ rollten wir an der geplanten Unterkunft in die Tiefgarage ein. Den Veranstalter habe ich unterwegs während der Fahrt schon über den Unfall informiert, das Begleitfahrzeug machte sich auf den Weg zu uns. Mein GPS-Tracking war am Morgen offenbar schon ausgestiegen, ich habe es jedoch nicht bemerkt, da die GPS Punkte im Tracking nicht auseinander zu halten waren, wenn wir (wie jetzt eben den gesamten Tag) zusammen unterwegs waren. Es gab also einige Verwirrung und Durcheinander, zumal ich parallel bei der Fahrt unter den genannten Bedingungen nicht permanent Whatsapp prüfe und auch beantworte. Die Unzuverlässigkeit der GPS-Tracker sollte jedoch nicht nur bei mir sondern auch noch bei vielen anderen während der Veranstaltung immer wieder Probleme machen. Aus meiner Sicht setzt der SunTrip hier auf technisch unzuverlässige Systeme, andere Bikepacking-Veranstaltungen haben hier deutlich bessere Systeme im Einsatz.
Am Abend traf das Begleit-Team bei uns ein und versuchte mich noch von meiner Entscheidung abzubringen und zu überreden, weiter zu fahren („Aber es ist doch nichts passiert.“ „Du hast doch nichts!“), für mich kam dies jedoch nicht in Frage. Auch am nächsten Morgen wurde ich noch mehrmals gefragt – die Fähren zurück waren längst gebucht und ich blieb natürlich bei meiner Meinung und so organisierte man uns schlussendlich einen LKW für die Rücktour nach Tanger med. Meine Fähre sollte in 3 Tagen gehen, es war also Zeit. Ich stand immer noch unter Schock und funktionierte nur noch, zu viele Dinge gleichzeitig warfen mich völlig aus der Bahn. Hier zeigte sich, wie wichtig es war, Einheimische Helfer zu haben. Der erste bestellte LKW war viel zu klein und hatte nur einen Beifahrersitz, einer hätte also auf der Ladefläche mit fahren müssen (250-300km mit Autobahn…) – obwohl dies vorher telefonisch zugesichert wurde. Nach vielem hin und her mit verschiedensten „Logistikern“ hatten wir am späten Nachmittag einen kleinen LKW vor der Tür stehen, der 2 Beifahrersitze hatte und es ging in Richtung Tanger med.

Der Fahrer war schon kurz nach der Abfahrt übermüdet („muss ja früh aufstehen wegen Gebet“), eine Pause machen wollte er aber auch nicht. Ich versuchte ihn immer wieder in Gespräche zu verwickeln, was auch dringend notwendig war, denn immer wieder gähnte er und fuhr offensichtlich unkonzentriert immer wieder in Schlangenlinien über die Autobahn. Tjaja, Marokko ist ein Abenteuer!

Auf der Autobahn ist es übrigens auch völlig normal, dass hier Fußgänger laufen. Das Risikoverständnis ist hier einfach ein anderes, so sieht man hier übrigens auch nur selten Motorradfahrer mit Helm. An den Mautstationen lauern Menschen an den Durchfahrtsschranken und versuchen die Fahrzeuge zu „scammen“, unser Fahrer lässt sich hier offensichtlich nicht aus der Ruhe bringen, wechselt ein paar Worte und fährt einfach weiter. Wie man hier wohl mit einem offensichtlich ausländischen Fahrzeug behandelt wird? Nach einigen Verwirrungen um den Zielort (Tanger med? Mir wurde gesagt, ich soll nach Tanger fahren! => nein, war vorher geklärt incl Preis) kamen wir an der geplanten Unterkunft in Sichtweite vom Hafen am Strand bei Tanger med an. Die Räder waren schnell abgeladen und wir in die geplante Unterkunft abgestiegen – diese sollte sich als Bruchbude mit Gasgeruch dank undichter Gasinstallation und Gasflasche direkt unterm Herd und offensichtlich gefälschten Bewertungen auf booking heraus stellen.

Die Räder mussten im Hausflur stehen, da um die Häuser und am Strand jede Menge „interessierte Menschen“ unterwegs waren. Es war Feiertag, die Strände und die Promenade waren voll und die Restaurants hatten nichts zu essen („ist ja noch keine Saison“)…

Gerüstet mit ungesunden Snacks aus dem Büdchen ums Eck in Verbindung mit meiner Müsli-Notration mischten wir uns ein improvisiertes Abendessen an. Der Hafen mit dem Schiff nach Europa lag in Reichweite, wir waren sicher – zumindest für den Moment. Zwei Nächte sollten wir hier verbringen, viel Zeit zum spazieren gehen, essen, reden, nachdenken. Innerlich sortieren. Telefonieren. Gepäck sortieren. Aufräumen.

Schlussendlich fuhren wir gemeinsam am Abreisetag zum Fährhafen, noch auf den letzten Kilometern vor der Fähre versuchten uns „kreative Menschen“, die sich mit Warnweste als Hafenarbeiter ausgaben, mit Fragen in Gespräche zu verwickeln (haben Sie ein Ticket? Zeigen Sie es mal vor! Wollen Sie Geld wechseln?), bis ich meinem Kollegen von hinten auf Deutsch zu rief, einfach weiter zu fahren, denn diese Leute gehörten schlichtweg gar nicht zum Hafen. Man muss hier immer und überall auf der Hut sein, die meisten Menschen sind nett und offen, aber eine gewisse „Situation Awareness“ und Skepsis gegenüber jedem, der einem gegenüber tritt, ist hier absolut geboten. Ja, und man muss Menschen auch mal eiskalt stehen lassen, nicht auf jedes Gespräch eingehen und auf stur schalten können, egal wie emotional sich das Gegenüber verhält.
Am „echten“ Ticketschalter des Hafens trennten sich dann unsere Wege, da mein Kollege die Fähre nach Marseille nahm, während ich die später fahrende Fähre nach Barcelona gebucht hatte, um von dort weiter nach Mallorca mit einer weiteren Fähre zu fahren. 48h auf See standen uns beiden bevor und ich war froh, die gesamte Zeit bis hier hin nicht alleine zu sein! DANKE!

Die Ausreise aus Marokko war das genaue Gegenteil der Einreise. Stundenlanges warten am Zoll, Röntgen (alle Fahrzeuge werden von einem Röntgen-LKW durchleuchtet), Drogenhund, x-fache Polizeikontrolle und dann noch stundenlanges warten vor der Fähre (auf dem Ticket steht 5-9 h vor Abfahrt bitte am Hafen sein!), auch hier zeigte sich wieder die Ungeduld in Form von Hupkonzerten, die ich ungeschützt zwischen all den Autos über mich ergehen lassen musste – Stunde um Stunde, bis ich schlussendlich auf die Fähre rollen durfte. Die 2 Nächte und der Tag auf See war eine Erleichterung und Befreiung. Tschüss Marokko! Das war es. Und ich war froh. Froh, raus zu sein, weg von einer Kultur und Mentalität, die mir völlig fremd ist.

Marokko soll noch das „zivilisierteste“ Land in Afrika sein. Wenn dem so ist, denke ich ist der „Haken“ für den Kontinent für mich hiermit gesetzt. Meine Erlebnisse sollten kein Einzelfall sein, Raf van Hulle hat auf dem Rückweg per Solarbike von Laayoune aus eine weitere sehr unschöne Begegnung mit Kindern gehabt – an einer Ortschaft, wo kein hohes Tempo als „Flucht“ möglich war, wurde er gestoppt und umgeworfen. Er verletzte sich an der Hand, das Vorderrad und die Lenkung wurde dabei verbogen und er wurde laut eigener Aussage nur von Erwachsenen „gerettet“, die die Kinder verjagten. Er selbst ist direkt ins nächste Hotel geflüchtet, hat die Schäden am Rad gerichtet und seine Fahrt am nächsten Tag fort gesetzt, am Ende sollten es für ihn insgesamt 9000km von Belgien in die Westsahara und zurück sein. Glückwunsch Raf, eine echte Meisterleistung!
Es wird auch 2026 einen SunTrip in Marokko geben (scheinbar ohne den Norden), allerdings ganz sicher ohne mich. Ich empfehle jedem, sich genau zu überlegen, ob er unter solchen Bedingungen und in solchen Ländern Solarbike fahren will, vom logistischen Aufwand der Anreise und Rückreise einmal abgesehen. Meine Empfehlung ist sich mit der Veranstaltung aus Sicherheitsgründen eher auf zivilisiertere Länder zu beschränken und nicht auf Länder, in denen das größere Fahrzeug auf der Straße Recht hat – aber vielleicht bin ich auch einfach als Deutscher zu weich gewaschen für die harte Realität in manchen Ländern dieser Welt … mein Feedback habe ich den Veranstaltern übermittelt, dieses wurde zur Kenntnis genommen. Beim SunTrip China ist laut Aussage von Teilnehmern eine Polizeibegleitung vor und hinter den Solarbikes inklusive Krankenwagen vorgegeben. Für Marokko wäre dies aus meiner Sicht definitiv ein angemessener Sicherheitsstandard gewesen, ob man in so einem Kontext dann noch mit dem Solarbike unterwegs sein will, steht wieder auf einem anderen Blatt. Generell ist die Polizeipräsenz in Marokko hoch, an jedem Ortseingang und -ausgang steht eine permanente Polizeikontrolle, die gut besetzt sind und den gesamten Verkehr kontrollieren (an jedem Ort!). Am Verhalten von Verkehrteilnehmern, Kindern und Hunden ändern die Polizeikontrollen jedoch (leider) nichts.
Rückblickend bin ich dankbar und froh, dass ich die Reißleine gezogen habe und heile wieder aus Afrika heraus gekommen bin. Es hätte auch ganz anders enden können …
Hätte ich es vorher nicht besser wissen können? Ehrlich gesagt wusste ich, was mich in Marokko erwarten könnte, aber letztendlich war ich zu versessen von meiner Idee, im Solarbike durch die Sahara-Wüste zu brettern, dass ich alle Risiken und Gefahren beiseite schob. Nichts von dem, was passierte, traf mich völlig unvorbereitet. Letztendlich wusste ich zumindest theoretisch von der möglichen Existenz der genannten Probleme – jedoch nichts über die Häufigkeit, noch ob dies wirklich den Tatsachen entspricht. Einiges war schwammig oder unklar, aber letztendlich wusste ich vor allem bereits zuvor. Die harte Realität, vor allem die Kumulierung aller Ereignisse war in diesem Moment einfach zu viel für mich. Oder anders gesagt: Wenn es (potentiell) um das eigene Leben geht, weiß man erst wie man reagiert, wenn man in so einer Situation steckt. Die Realität zeigt dann, wie der Mensch jeweils darauf reagiert. Letztendlich ist man als Radfahrer im Straßenverkehr immer potentiell riskanten Situationen ausgeliefert und im Falle eines Falles stets der „Verlierer“. In einem Land, in dem auf der Straße pauschal derjenige Recht hat, der einfach größer ist, eine schlechte Konstellation.
Der Fakt, dass bis auf 3 Fahrzeuge alle in der Westsahara in Laayoune ankamen, beweist auf jeden Fall, dass es möglich war. Viele haben mein Fahrzeug als zu wenig robust und zu leicht angesehen, dies trifft auf die Bodenfreiheit von nur 9 cm auf jeden Fall zu, aber selbst mit meinen beiden 28mm Rennradreifen auf der Hinterachse und 32mm Reifen auf dem Vorderrad war ich nicht überfordert. Langsam machen ist das Motto hier 😉 – gegen die sonstigen Gefahren in Marokko ist jedoch als Radfahrer kein Allheilmittel gefunden. Auch Fritz Meinecke hat in seiner Bikepacking Dokumentation Marokko das Verhalten von Kindern und Hunden eindrücklich dokumentiert, wir reden also nicht nur von einer „bestimmten Straße oder Gegend“ (so wie es mir immer wieder suggeriert wurde) sondern einer Gefahr, die potentiell überall im Land lauert. Im Süden ist die Gefahr gewiss geringer, da hier die Bevölkerungsdichte enorm abnimmt (30 von 40 Mio Marokkanern leben oben im Norden auf wenig Fläche), aber letztendlich sind überall, wo Menschen leben, auch Kinder und Hunde – und die Armut ist im Land allgegenwärtig. Das Problem mit den Straßenhunden ist hinlänglich bekannt, es gibt in Marokko mehrere Millionen wilder Straßenhunde, über die das Land (wie über viele andere Probleme) nicht Herr wird. Wir werden sehen, was das Land bis zur Fußball-WM im Jahr 2030 hier unternehmen wird.
Zurück in Barcelona bin ich am Morgen vom Schiff herunter gerollt, der übliche Small-Talk mit der breit grinsenden Grenzpolizei (was für ein lustiges Fahrzeug) und Zollkontrolle (geht hier in Spanien mit Rad (auch Motorrad) in der Regel rasend schnell 😀 bzw. man wird meist sogar vorgezogen an allen Autos vorbei) und ehe ich es mich versah, rollte ich aus der Terminalausfahrt in die Straßen von Barcelona. Vor wenigen Tagen stand ich hier schon einmal – mit ganz anderen Ideen und Träumen im Kopf. Nun war ich wieder zurück. Es war kalt und grau, die Sonne hinter den Wolken und ich hatte nun bis zum Nachmittag noch viele Stunden Zeit. Das Wetter war fast die gesamte Zeit sogar so schlecht, dass ich überhaupt nicht dazu kam, die mir von meinem Freund Martin von KAPITÄN OHLSEN freundlicherweise zur Verfügung gestellten Produkte zum Sonnenschutz einzusetzen – ich war sogar selten nur mit nur einer Kleidungsschicht unterwegs, meist waren es mindestens zwei …
Zurück nach Mallorca hatte ich die Schnellfähre gebucht, da sie zeitlich die nächste Option war. Die Schnellfähre hatte ich bisher noch nie genutzt, sie fährt zudem von einem komplett anderen Terminal im Freihafen. Fahrräder und Fußgänger werden per Bus in den Freihafen transportiert, mein Fahrrad war aber offensichtlich viel zu groß dafür. Die Mitarbeiter der Fährlinie sagten mir, ich solle einfach das Terminal für die Autos fahren. Klingt einfach, los ging es, bis ich plötzlich vor dem Freihafen an einer Brücke stand, wo klipp und klar Fahrräder und Fußgänger Durchfahrt verboten stand.

Ohje, drum also der Busshuttle … was nun? Ich fragte an einem anderen nahe gelegenen Terminaleingang einen Hafenmitarbeiter, was ich tun sollte. Er meinte nur „warte hier einfach bis die Polizei vorbei kommt und frage die was Du machen sollst. Am Ende der Brücke steht nochmal die Polizei, fahr besser nicht ohne Absprache da drüber.“ Gesagt, getan. Die im Hafen regelmäßig Streife fahrende Polizei kam kurz darauf vorbei, ich erkläre kurz meine Situation und die Antwort war nur „easy, Du fährst vor, wir sichern Dich von hinten ab!“ So ging es dann mit 2 Polizeiautos im Schlepptau über die Brücke, die ich eigentlich nie hatte befahren dürfen. Der verdutzten Polizeikontrolle am Ende der Brücke erklärte ich kurz, ich müsse zum Fährterminal nach Mallorca und passe nicht in den Shuttlebus, zack ging die Schranke auf und weiter ging es mit der Polizei im Schlepptau bis zum Zielterminal. Hier hieß es nochmal warten, bis es dann auf die Katamaran Schnellfähre nach Alcudia ging.

Ein nagelneues Speedboot, das mit 60km/h durch das Mittelmeer pflügt. Doppelt so schnell wie die langsameren, aber größeren Fähren, jeden Tag mehrfach zwischen dem Festland und den Balearen pendeln und spontan gebucht für gerade einmal gut 20 EUR für mich als Person plus Fahrrad. Im Mai ist noch Nebensaison und die Fähren sind in der Regel weit weg von Vollauslastung.


Ja, es ging nun endlich auf die Zielgerade nach Hause! In Alcudia hieß es nochmal 80km „homerun“ einmal quer über die Insel in die Nacht hinein. Mit Vollgas (Akku randvoll) bretterte ich ohne Rücksicht auf Verluste über die Straßen der Insel, und plötzlich wurde das Gefühl etwas „weich“ auf der Hinterachse. Oh nein, nicht jetzt noch eine Reifenpanne. In Marokko bei gefühlt Tausenden Schlaglöchern ist nichts passiert, und ausgerechnet hier jetzt … ja!

Trotz Schlauch-Mantel Reifen, deren Schläuche noch mit Tubeless Reifen Dichtmittel gefüllt waren, hatte ich den Reifen scheinbar komplett an so vielen Stellen perforiert, dass das Dichtmittel überall heraustrat und der Schlauch nicht mehr zu retten war. Vermutlich hatte ich eine Stelle mit rau ausgewaschenem Asphalt zu hart mitgenommen, der den Reifen von allen Seiten „zermalmt“ hat. Egal, Schlauch wechseln, Reifen drauf, weiter gehts. In der Dunkelheit kam ich dann an, 2 Wochen vor meiner grob angedachten Rückreise …
So wurde das Solarbike erst einmal abgerüstet, in die Ecke geschoben und ich fokussierte mich die nächsten Wochen und Monate erst einmal nur aufs Klettern. Der Weltcup in Innsbruck 2025 stand vor der Tür – dieses mal ohne Solarbike-Anreise.
Wie geht es weiter? Wir werden sehen …
